Montag, 12. November 2012

Die Struktur der DNS, Teil 1: Watson und Crick

James Watson: Ein Amerikaner in Cambridge


James Watson wurde am 6. April 1928 geboren. Schon mit 15 Jahren besuchte er die Universität von Chicago. Mit 17 Jahren fiel ihm Schrödingers "Was ist Leben" in die Hände, das sein Denken, wie auch das vieler anderer junger Wissenschafter der Zeit, stark beeinflusste. Er schrieb: 
"Dieses Buch schlägt auf sehr elegante Weise vor, dass Gene die wesentlichste Komponente lebender Zellen wären und, dass wir begreifen müssen wie Gene funktionieren um zu verstehen, was Leben ist."
So wandte sich Watson der Genetik zu und wechselte an die Universität in Indiana, wo der hoch angesehenen Max Delbrück arbeitete. Seine ersten Studien beschäftigten sich mit Viren. Diese Arbeiten brachten ein Post-Doc Fellowship in Kopenhagen, wo er mit dem Biochemiker Herman Kalckar zusammenarbeitete.

Im Jahr 1951 traf er auf einer Konferenz in Neapel Maurice Wilkins vom King's College London, der dort seinen Professor (Randall) vertrat. Watson kannte zwar weder Randall noch Wilkins, war aber von dessen DNS-Vortrag fasziniert. Besonders eine Röntgenaufnahme der DNS überraschte ihn. Ihm war bis zu diesem Zeitpunkt nicht klar, dass die DNS regelmässig genug ist um zu kristallisieren. Dies aber ist eine Voraussetzung um Röntgendiffraktometrie zur Strukturaufklärung einsetzen zu können. Es erschien ihm unbedingt erforderlich mit Wilkins Kontakt aufzunehmen. Zu diesem Zweck spannte er sogar seine mitreisende Schwester ein. In seinen eigenen Worten: 
"[…] wenn Maurice meine Schwester wirklich mag, so ist es unvermeidlich, dass ich mit seiner Arbeit an der DNS in engen Kontakt komme." 
Der Zusammenhang zwischen einem Näherkommen seiner Schwester mit Wilkins einerseits und der Annäherung Watsons an die DNS andererseits konnte wissenschaftliche bis heute nicht geklärt werden – unter anderem auch deshalb nicht, weil der Versuch fehlschlug. Tatsächlich wird sich der Kontakt zwischen Wilkins, Watson und Crick erst später in England vertiefen.

Zurück in Kopenhagen überlegte Watson, wie es ihm trotz mangelnder Kenntnissen in Kristallographie gelingen könnte, in das Feld der Untersuchung der DNS einzusteigen. Die erste Adresse wäre seiner Ansicht nach Linus Pauling am Caltech gewesen. Pauling selbst bekam 1954 einen Nobelpreis für Chemie für die Untersuchung chemischer Bindung und die Anwendung auf komplexe chemische Verbindungen. 1962 wird Pauling den Friedensnobelpreis erhalten, im selben Jahr wir Watson und Crick ihren Nobelpreis für Medizin. Noch sind wir im Jahr 1951 und bis dahin ist noch ein weiter Weg zu gehen; mit Watsons Worten: 
"Linus war ein zu bedeutender Mann, um seine Zeit mit dem Unterrichten eines mathematisch unterbelichteten Biologen zu verschwenden."
Cambridge erschien ihm leichter zugänglich zu sein und so bewarb er sich  im Labor von Max Perutz um dort Kristallographie zu studieren und zunächst an Pflanzenviren zu arbeiten. Auch Max Perutz hatte einen internationalen Ruf als hervorragender Kristallograph, der im Bereich der Strukturaufklärung von Biomolekülen arbeitete. Zwar führte dies zu einigen Schwierigkeiten mit Watsons Stipendium, aber Cambridge war der richtige Ort, um mehr über den Stand der Forschung an der DNS zu erfahren. 

Während das "Paar" Maurice Wilkins und Rosalind Franklin sich nicht riechen konnte, verstand sich Watson sofort blendend mit dem zwölf Jahre älteren Francis Crick, der schon in Cambridge am Cavendish Labor arbeitete. Zu dieser Zeit untersuchte man in Cambridge zwar verschiedene Biomoleküle, aber noch niemand beschäftigte sich mit der DNS.

Ein Vortrag von Rosalind Franklin am King's College (1951) motivierte Watson sich nun intensiver mit der DNS zu auseinanderzusetzen. In den folgenden Wochen begann er (unter anderem auf Basis der Information dieses Vortrages) gemeinsam mit Crick an einem Modell der DNS zu arbeiten. John Kendrew, einer der "Seniors" im Cavendish Lab, bestand darauf, dass die beiden ihr Modell dem Team des King's College zeigen. Dieses Treffen mit Rosalind Franklin, Maurice Wilkins und anderen fand auch kurz darauf statt. Franklin war vom Modell Watson und Cracks alles andere als begeistert und kritisierte höflich aber sehr bestimmt.

Kurz gesagt, dieses erste Modell war ein Fiasko. Bragg, der Leiter des Cavendish Labors, war von der Vorstellung eher peinlich berührt – immerhin wurden mehrere Wissenschafter vom King's College eingeladen – und  forderte Watson und Crick auf, die Arbeit an der Modellierung einzustellen. Bragg vereinbarte mit Randall (dem Leiter des King's College), dass die Arbeit an der DNS nur am King's College weitergeführt werden solle. Diese Vereinbarung ist vermutlich auch so zu verstehen, dass beide Labors vom selben Geldgeber finanziert wurden. Randell und Bragg  wollten auf diese Weise doppelte Forschung und die Verschwendung von Forschungsgeldern vermeiden. Damit war die (offizielle) DNS-Modellierung zunächst an ein jähes Ende gelangt.

Aber Watson und Crick geben ihr Unterfangen nicht auf. Werfen wir noch einen Blick auf den zweiten Wissenschafter, Francis Crick, bevor wir uns in die nächsten Entwicklungen vertiefen, die letztlich zur Aufklärung der Struktur der DNS führen werden.

Watson und Crick in Cambridge
Watson und Crick in Cambridge
(C) Cold Spring Harbor Laboratory Library Archives

Francis Crick: DNS-Modellierung und "Ohrensausen"

Francis Crick wurde am 8. Juni 1916 als Sohn eines Schuh- und Stiefelfabrikanten aus Northampton geboren. Er war also, im Gegensatz zu Watson, waschechter Brite. Seine Eltern hatten keine universitäre Ausbildung, aber seine Mutter förderte seine Neugier von Kindheit an. Ein Stipendium für die Mill Hill Schule in London war zweifellos hilfreich, denn dort wurde eine fundierte Ausbildung in den Naturwissenschaften, Chemie, Physik und Mathematik ermöglicht. Aber Cricks später durchaus ausgeprägtes Selbstbewusstsein wird auch dem Einfluss dieser Schule zugeschrieben. Das Studium der Physik führte ihn ans University College in London. Dort begann er auch sein Doktorat über das "langweiligste denkbare Thema": die Viskosität von Wasser. Allerdings wurde die Doktorarbeit vom Krieg unterbrochen und er wird in der militärischen Forschung eingesetzt. 

Nach dem Krieg wandte er sich, ebenfalls motiviert von Erwin Schrödingers Buch "Was ist Leben", der Biologie zu. Crick schrieb: 
"Schrödinger erweckte den Anschein, als stünden großartige Dinge unmittelbar bevor. (Schrödinger made it seem as if great things were just around the corner)"
Wie auch John Kendrew beschäftigte er sich mit der Frage, wie die Grenze zwischen lebender und toter Materie definiert werden könne. 1949 bewarb er sich für Birkbeck unter J. D. Bernal, wurde aber (ebenso wie Rosalind Franklin) abgelehnt. Kendrew und Perutz nahmen ihn noch im selben Jahr am MRC in Cambridge auf. 

Crick wusste zu diesem Zeitpunkt noch nicht viel über Röntgenstrukturaufklärung, hatte aber die Arbeiten von Perutz über Hämoglobin gelesen und Perutz führt ihn in Cambridge in die notwendigen Grundlagen ein. Perutz wie auch Bragg motivierten ihn, trotz seines fortgeschrittenen Alters von 33 Jahren, sich wieder für ein Doktoratsstudium zu einzuschreiben. Seinen Doktor über Röntgenstrukturaufklärung von Polypeptiden und Proteinen erhielt er im Jahr 1953, aber wir greifen vor… 

Francis Crick war mit Sicherheit kein trockener Wissenschafter. Er genoß das Leben in Cambridge. Er war zum zweiten Mal mit einer Französin verheiratet; beide waren an Kunst und gutem Essen interessiert. Partys und Einladungen von Freunden und Kollegen sind an der Tagesordnung. Dieses Ambiente zog nicht nur den jüngeren James Watson, sondern auch Maurice Wilkins an, der beide häufig in Cambridge besuchte. 

Crick war aber auch für sein Auftreten bekannt, vielleicht sollte man eher sagen: berüchtigt. Er war selbstbewusst und hielt mit seiner Meinung nicht hinter dem Berg und redete (wenn man Watson Glauben schenken darf) pausenlos. Wenn er von sich selbst durchaus überzeugt war, so traf dies etwa auf seinen Chef Bragg kaum zu. Bei einem Seminar stellte Max Perutz vor Gästen sein aktuelles Hämoglobin-Modell vor und Crick vernichtete diesen Ansatz vor versammeltem Auditorium. Bragg, der Crick ohnedies nicht besonders gut leiden konnte, war wütend. Perutz selbst schien diese öffentliche Kritik weniger persönlich zu nehmen und arbeitete auch später noch gerne mit Crick zusammen. 

Bragg hielt Crick für aufdringlich, übertrieben selbstsicher und wenig produktiv. An einem Punkt wollte Bragg nur mehr, dass Crick seine Arbeit (die nichts mit DNS zu tun hatte) fertigstelle und und danach so schnell wie möglich das Labor verließe. John Kendrew und Max Perutz schienen Bragg dann aber wieder beruhigen zu können. Watson schrieb über den Konflikt: 
"Bragg hatte sich inzwischen auch wieder beruhigt, und die Sache mit Francis' Entlassung wurde stillschweigend begraben. Ihn zu behalten fiel Bragg jedoch nicht leicht. Eines Tages, in einem Augenblick der Verzweiflung, gestand er, Crick verursache ihm Ohrensausen. Außerdem konnte ihn nichts davon überzeugen, daß man Crick braucht. Seit fünfunddreißig Jahren habe Francis nun schon ununterbrochen geredet, und bisher sei so gut wie nichts von entscheidendem Wert dabei herausgekommen."
Aber Cricks Zeit wird noch kommen. Die Entschlüsselung der DNS-Struktur gemeinsam mit James Watson wird nur eine der bedeutenden wissenschaftlichen Leistungen werden, die Francis Crick zuzuschreiben sind. So formulierte er beispielsweise 1957 das "zentrale Dogma der Genetik": Nicht nur bestimmen die Nukleinsäuren Aussehen und Funktion von Proteinen, sondern der Informationsfluss geht nur in eine Richtung: von der DNS zur RNS zum Protein. Eine wesentliche Grundlage, die die Forschung für die nächsten Jahrzehnte prägen wird.

Später wird Crick die molekulare Biologie verlassen und in die Neurowissenschaft wechseln; James Watsons spätere Forschung beschäftigt sich mit der Frage den genetischen Zusammenhängen bei der  Entstehung von Krebs. Auf die Frage, was er für eine vergleichbar bedeutende Frage (wie Struktur und Funktion der DNS) der heutigen Zeit hielte, verweist Watson auf die Funktionsweise des Gehirns – etwa in welcher Weise Information gespeichert wird. Crick hätte sich die letzten 30 Jahre seines Lebens mit dieser Frage beschäftigt, wäre aber nicht sehr weit gekommen.

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Zum Abschluss...

Es freut mich, dass Sie sich die Zeit genommen haben, mein Blog zu lesen. Natürlich sind viele Dinge, die ich hier diskutiere aus einem subjektiven Blickwinkel geschrieben. Vielleicht teilen Sie einige Ansichten auch nicht: Es würde mich jedenfalls freuen, Kommentare zu lesen...

Noch ein Zitat zum Schluß:

"Ich verhielt mich so, als wartete ein Heer von Zwergen nur darauf, meine Einsicht in das Tagesproblem, zur Urteilsfindung von Gesellschaft und Politik zu übersetzen. Und nun stellt sich heraus: Dieses Heer gibt es nicht.

Ganz im Gegenteil erweist sich das kulturelle Getriebe als selbstimmunisierend gegen Kritik und Widerlegung. Es ist dem Lernen feind und wehrt sich in kollektiver Geschlossenheit gegen Umdeutung und Innovation.", Rupert Riedl, Evolution und Erkenntnis, Piper (1985)

:-)