Montag, 8. Oktober 2012

Die "Cambridge-Gang": Das Jahrhundert der Biologie

Das Jahrhundert der Biologie

Brenda Maddox schreibt in ihrer ausgezeichneten Biographie über Rosalind Franklin nicht ganz zu unrecht: "Die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts gehörte der Physik, die zweite der Biologie." 

In der Zeit nach dem zweiten Weltkrieg gehörten Fragen, etwa wie Erbinformation weitergegeben wird, zu den großen Themen der Wissenschaft. Die Verbungslehre nach Mendel ist etabliert. Sie beschreibt mit drei Regeln wie Merkmale vererbt werden, deren Ausprägung durch ein Gen bestimmt wird. Auch eben der Begriff des Gens wird seit Anfang des 20. Jahrhunderts verwendet, wenngleich die Definition sich immer wieder ändert. Selbst heute gibt es noch keine wirklich wasserdichte Definition, mit der sich alle Genetiker gleichermassen identifizieren. Unter einem Gen wurde und wird im allgemeinen eine "Erbeinheit" verstanden, die für bestimmte Eigenschaften des Organismus verantwortlich ist. Oder anders ausgedrückt, ein Gen ist ein Stück DNS und enthält die Information, die notwendig ist, ein bestimmtes Protein zu erzeugen. Seit Beginn des 20. Jahrhunderts wird spekuliert, wie genau die Vererbung stattfinden würde, und ob es eine molekulare Basis dafür gäbe. Ebenso ist die Desoxyribonukleinsäure (DNS) des längeren bekannt. Das erste Mal konnte sie im Jahr 1869 vom schweizer Arzt Friedrich Miescher isoliert werden. Miescher hatte jedoch keine korrekte Idee über die Funktion dieser  Substanz.

Bereits in den 1920er Jahren war die Ansicht vorherrschend, dass Gene aus Proteinen bestehen. Proteine sind lange Ketten aus 20 verschieden Molekülen aufgebaut und wären in der Lage auch komplexe Information zu speichern. DNS enthält hingegen nur 4 verschiedene Moleküle. Viele Genetiker vermuteten daher, dass die DNS zu einfach wäre um die komplexe Erbinformation speichern zu können. Die genaue Funktion der DNS und die Aufklärung der Frage wo und wie die Erbinformation gespeichert wird, bleibt bis in die 40er und 50er Jahre unklar. Mit den Arbeiten von Bernal, Chargaff, Pauling, Franklin, Watson, Crick und vielen anderen beginnt das Verständnis der Genetik und in weiterer Folge der molekularen Biologie konkretere Formen anzunehmen.

Erwin Schrödinger: Was ist Leben?

Erwin Schrödinger
Eine wichtige Inspiration für viele waren in den 1940er Jahren die Dublin Lectures von Erwin Schrödinger, einem österreichischen Physiker. Einer breiteren Öffentlichkeit werden sie durch Schrödingers Buch "Was ist Leben" bekannt.  Schrödinger stellt eine wichtige Frage: warum wird Biologie immer noch so betrieben, als hätte sie nichts mit Physik und Chemie zu tun. Vielmehr sollten die chemischen Prinzipien, die der Biologie zugrunde liegen, ernsthaft untersucht werden. Die Überschrift des siebente Kapitel des Buches lautet etwa "Beruht Leben auf physikalischen Gesetzen?" Auch ist besonders das Vorwort des Buches in hohem Maße empfehlenswert. Was Schrödinger in den 1940er Jahren schreibt, trifft bis heute zu:
"Bei einem Mann der Wissenschaft darf man ein unmittelbares, durchdringendes und vollständiges Wissen in einem begrenzten Stoffgebiet voraussetzen. Darum erwartet man von ihm gewöhnlich, dass er von einem Thema, das er nicht beherrscht, die Finger lässt. [...]
Aber das Wachstum in die Weite und Tiefe, das die mannigfaltigen Wissenszweige seit etwa einem Jahrhundert zeigen, stellt uns vor ein seltsames Dilemma. Es wird uns klar, dass wir erst jetzt beginnen, verlässliches Material zu sammeln, um unser gesamtes Wissensgut zu einer Ganzheit zu verbinden. Andererseits aber ist es einem einzelnen Verstande beinahe unmöglich geworden, mehr als nur einen kleinen spezialisierten Teil zu beherrschen.
Wenn wir unser wahres Ziel nicht für immer aufgeben wollen, dann dürfte es nur den einen Ausweg aus dem Dilemma geben: daß einge von uns sich an die Zusammenschau von Tatsachen und Theorien wagen, auch wenn ihr Wissen teilweise aus zweiter Hand stammt und unvollständig ist – und sie Gefahr laufen, sich lächerlich zu machen."
Das Buch Schrödingers wurde von bedeutenden Wissenschaftern der Zeit kritisiert. Linus Pauling etwa schrieb: "Meiner Ansicht nach, hat Schrödinger keinen Beitrag zum Verständnis des Lebens geleistet." Max Perutz ist noch pointierter: "[...] was in diesem Buch richtig ist, stammt nicht von Schrödinger, und was von Schrödinger stammt, war schon zur Zeit der Veröffentlichung nicht richtig." Trotz dieser harten Worte einzelner, wird dieses Buch von vielen (jungen) Wissenschaftern der Zeit als bedeutende Inspiration bezeichnet. Für einige gilt es als Startschuss für eine neue Sicht auf die Biologie. Mag Schrödingers Buch vielleicht (nach Pauling) keinen direkten Beitrag zum Verständnis des Lebens geleistet haben, mag er sich nach der Ansicht mancher auch lächerlich gemacht haben, der indirekte Beitrag seines Werkes war erheblich. 

Fünf Nobelpreisträger (und einige, die leer ausgehen)

Die Verfolgung eben dieser Frage "Was ist Leben" führt vor genau 50 Jahren, also im Jahr 1962, zu fünf Nobelpreisen. Alle fünf Preisträger haben wesentliche Beiträge zur Aufklärung der komplexer Strukuren und Wirkweise von Biomolekülen geleistet: Max Perutz und John Kendrew in Chemie, James Watson, Francis Crick und Maurice Wilkins in Medizin.

Ich möchte mich in einer kleinen Serie von Blog-Artikeln mit der Geschichte (vor allem aber auch den nicht so bekannten Hintergründen) eine der wesentlichen wissenschaftlichen Durchbrüche des 20. Jahrhunderts, beschäftigen. Jede Woche wird ein neuer Artikel erscheinen. In dieser Serie steht natürlich auch die immer noch häufig vorherrschende Idee zur Diskussion, zwei junge Genies (Watson und Crick) hätten dieses komplexe Rätsel mehr oder weniger im Alleingang gelöst. Im Grunde genommen ist die Frage aber eine grundsätzlichere: Wird Wissenschaft von Individuen, von Genies vorangetrieben, denen wir dann Nobelpreise verleihen, oder ist die Sache etwas komplizierter? Wäre ohne Watson, Crick und Wilkins die Struktur der DNS nicht, oder zumindest wesentlich später gefunden worden? Welcher Teil des "Kuchens" ist ihnen zuzuschreiben? Sind sie gar nur die Fassade eines viel komplexeren Gebildes? Um diese Frage zu diskutieren, möchte ich zwei weitere Persönlichkeiten in den Vordergrund rücken, deren Leistungen einer breiteren Öffentlichkeit im wesentlichen unbekannt sind: John Desmond Bernal und Rosalind Franklin, die beide keinen Nobelpreis bekommen haben. Zu Recht?

Aber die Strukturaufklärung der DNA steht nicht alleine im Mittelpunkt. In den 50er Jahren, und damit im Herzen dieser Geschichte, steht die Entstehung eines neuen Paradigmas, einer neuen Wissenschaftsdisziplin, der Molekulargenetik. Eine entscheidende Persönlichkeit die diese Entwicklungen vorangetrieben hat, war der aus Österreich stammende Max Perutz. Perutz arbeitet nicht nur aktiv an der Aufklärung des Hämoglobins, sondern kann als Gründer des ersten Labors für molekulare Genetik gelten. Und damit sind wir in Cambridge angelangt.

Geschichte und Tradition ist in Cambridge allgegenwärtig. Ein College reiht
sich an das andere. Hier im Bild das Kings College.

Die meisten Wissenschafter, die ich in dieser Serie betrachte, sind eng mit der Universität von Cambridge verbunden. Wurde Cambridge auch im Jahr 1209 von Abtrünnigen aus Oxford gegründet, so zählt Cambridge heute zu den fünf besten Universitäten der Welt. Das Cavendish Lab ist eine der Forschungseinrichtungen Cambridges und bringt alleine fast 30 Nobelpreisträger hervor, darunter eben auch Watson, Crick, Perutz, Kendrew.

Begeben wir uns in den nächsten Wochen auf eine Reise in die Zeit des zweiten Weltkrieges und die Konflikte zwischen Wissenschaftern und Institutionen in den 40er und 50er Jahren, die die Erforschung der DNS und die Gründung der molekularen Biologie begleitet haben. Nicht zuletzt werden wir sehen, dass große Wissenschafter – öfter als man denken möchte – auch dunkle Seiten haben, die kaum mit deren sonstiger intellektuellen Seite vereinbar zu sein scheinen.

Was ist Leben? Wie funktioniert Wissenschaft? Begleiten Sie mich auf der Suche...

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Zum Abschluss...

Es freut mich, dass Sie sich die Zeit genommen haben, mein Blog zu lesen. Natürlich sind viele Dinge, die ich hier diskutiere aus einem subjektiven Blickwinkel geschrieben. Vielleicht teilen Sie einige Ansichten auch nicht: Es würde mich jedenfalls freuen, Kommentare zu lesen...

Noch ein Zitat zum Schluß:

"Ich verhielt mich so, als wartete ein Heer von Zwergen nur darauf, meine Einsicht in das Tagesproblem, zur Urteilsfindung von Gesellschaft und Politik zu übersetzen. Und nun stellt sich heraus: Dieses Heer gibt es nicht.

Ganz im Gegenteil erweist sich das kulturelle Getriebe als selbstimmunisierend gegen Kritik und Widerlegung. Es ist dem Lernen feind und wehrt sich in kollektiver Geschlossenheit gegen Umdeutung und Innovation.", Rupert Riedl, Evolution und Erkenntnis, Piper (1985)

:-)