Mittwoch, 30. Dezember 2009

Nach Kopenhagen, oder: Das Ende der Aufklärung?

Nach der gescheiterten Klimakonferenz in Kopenhagen wird von vielen Seiten zu Recht diskutiert was die Gründe des Scheiterns, aber auch was mögliche nächste Schritte sein können. Ich habe in den letzten Wochen viele Artikel und Kommentare gelesen und dabei festgestellt, dass aus meiner Sicht ein wesentlicher Aspekt zu wenig Beachtung findet; denn es steht aus meiner Sicht mehr auf dem Spiel als "nur" der Klimawandel.

Wir sind jetzt – nach allem was wir wissen – an einem Punkt angelangt wo wir handeln müssen; jedenfalls dann, wenn wir noch den Rest einer Chance haben wollen global einen mehr oder weniger friedlichen Übergang von der bisherigen ressourcenintensiven Wirtschaft (mit ihren fragwürdigen, ja geradezu dümmlichen Wachstumsideen) hin zu einer nachhaltigeren Gesellschaft zu schaffen.

Die Tatsachen des Jahres 2009 sprechen aber leider eine völlig andere Sprache:
  • die Wirtschaftssystemkrise wurde als solche nicht erkannt und es wurde nur am bestehenden System dilettantisch herumgedoktert
  • die Armutskonferenz wurde von der internationalen Politik nicht einmal ignoriert
  • die Klimakonferenz in Kopenhagen war ein Totalverlust
Daraus ziehen viele wohl nicht zu unrecht eher unerfreuliche Schlüsse: Barry Brook beispielsweise ist grundsätzlich skeptisch, dass wir Menschen solche Probleme rechtzeitig adressieren können. In kurzen Worten zusammengefasst (bzw. in meiner Interpretation) meint Barry Brook, dass wir Menschen nicht in der Lage sind auf Probleme angemessen zu reagieren wenn uns das Wasser nicht (in diesem Fall tatsächlich) bis zum Hals steht. Er meint, dass möglicherweise noch ein, zwei Jahrzehnte vergehen müssen bis der Ernst der Lage auch dem letzten Politiker klar geworden ist. Dann werden wir ähnlich wie im zweiten Weltkrieg die USA auf "Kriegswirtschaft" umstellen und vielleicht 30-60% des BNPs für den Klimawandel und neue Technologien und Strategien einsetzen. Er hegt wohl die Hoffnung, dass es in 10, 20 Jahren zwar wesentlich aufwendiger und teurer werden wird, dass wir aber immer noch die "Kurve kratzen" könnten.

Ich kann diese Ansicht durchaus nachvollziehen. Es wird dabei aber meines Erachtens nach ein wesentlicher Faktor ausgeblendet: Wenn es zu dieser Situation kommt ist es mit internationaler Freundschaft und großen Konferenzen mit demokratischem "Gerede" erst einmal vorbei. Dann gibt es keinen Cent mehr für Entwicklungsländer es sei denn sie sind Teil des neuen Kolonial-Systems.

Der entscheidende Punkt scheint mir also zu sein, dass die Zeit nicht nur wegen des drohenden Klimawandels drängt, sondern vielmehr weil die Kosten des Überganges zwischen zwei Wirtschaftssystemen jetzt vielleicht noch in einem Rahmen gehalten werden könnten der mit demokratischen und zivilisierten Gesellschaften (der Tradition der Aufklärung folgend) bewältigt werden könnte. Verpassen wir diese Chance ist die Wahrscheinlichkeit hoch dass wir nicht nur in ein Jahrhundert der ökologischen Katastrophen eingehen sondern damit auch 200 Jahre an mühsam erarbeiteter und erkämpfter Zivilisation über Bord werfen werden.

Oder in anderen Worten: 200 Jahre mühsam erarbeitete Aufklärung nähern sich einem Ende an. Es wurde hart um jede Errungenschaft gekämpft: für Demokratie, gegen Sklaverei, gegen Kolonialisierung, gegen Kinderarbeit, für soziale Rechte (jedenfalls in Europa, weniger in Entwicklungsländern wie den USA). Viele dieser Grundlagen moderner und zivilisierter Gesellschaften werden ohnedies gerade ausgehöhlt; man denke an moderne Sklaverei beispielsweise durch Prostitution und Kinderarbeit in Entwicklungsländern oder an aktuelle Bestrebungen flächendeckende Überwachung (angeblich gegen Terrorismus) einzuführen.

Ein weiteres Aufschieben von Gegenmassnahmen gegen Klimawandel, Ressourcenverschwendung und Degeneration unserer Umwelt wird vielleicht eine derartige "Kriegswirtschaft" zur Folge haben, aber eine, die wir uns nicht wünschen können. Lang erkämpfte Rechte werden mit einem Strich vom Tisch sein, Neo-Kolonialismus wird das Mittel zum Erlangen wesentlicher Ressourcen werden. China zeigt heute (beispielsweise in Afrika) schon erste Schritte in diese Richtung. (Insofern betreiben die USA eine durchaus rationale Politik wenn Sie global betrachtet für etwa 50% der Rüstungsausgaben verantwortlich sind.)

Ob allerdings Europa dies überleben wird, sei zu bezweifeln. Wir sind nicht autark und militärisch zu schwach. Viel wahrscheinlicher erscheint es mir, dass die Welt zwischen den Blöcken USA und China und zu einem gewissen Grad Russland aufgeteilt werden wird. Und die Chancen stehen schlecht, dass es sich um Gesellschaften handeln wird die wir nach heutigen Massstäben als wünschenswert erachten würden. Schon aus diesem Grund wäre Europa heute gut beraten das Heft in die Hand zu nehmen und nicht auf erste Schritte aus den USA oder China zu warten.

Es steht also meines Erachtens nach keinesfalls "nur" unser Klima auf dem Spiel sondern es droht ein Ende wesentlicher zivilisatorischer Errungenschaften der letzten Jahrhunderte, und dies innerhalb weniger Jahrzehnte; es droht uns ein wenig erstrebenswerter Rückfall in gesellschaftliche Strukturen des 18. oder 19. Jahrhunderts.

Nach Kopenhagen ist daher vor Kopenhagen. Etwas anderes als Mobilisierung aller Kräfte können wir uns nicht leisten, wollen wir unsere Lebensgrundlagen und unsere (noch) demokratischen und weitgehend friedliche Gesellschaften erhalten.

5 Kommentare:

Alexander Schatten hat gesagt…

Aus gegebenem Anlass möchte ich darauf hinweisen, dass ich mich über ernstgemeinte Kommentare und auch über sachliche Kritik immer freue. Das ist letztlich auch der Sinn eines Blogs.

Gleichzeitig möchte ich aber nochmals betonen, dass ich weder SPAM noch inhaltslose Kommentare mit reinen emotionalen Ausbrüchen oder gar solche mit persönlichen Angriffen veröffentliche.

Cangrande hat gesagt…

Wie alle guten Menschen gehen Sie davon aus, dass zwangsläufig gut (effektiv) wirken muss, was (ethisch) gut ist (d. h. was Sie, wie auch ich und die Allermeisten, für gut halten).

Das Problem ist dabei nur, dass Sie (wie so viele andere Menschen- und Umweltfreunde) Ihre 'Wunschliste' nicht auf innere Konsistenz überprüfen:

-Die Wirtschaft soll 'brummen' (nur so kann ich Ihren Vorwurf "die Wirtschaftssystemkrise wurde als solche nicht erkannt und es wurde nur am bestehenden System dilettantisch herumgedoktert" verstehen);

- Alle Menschen sollen gut leben ("die Armutskonferenz wurde von der internationalen Politik nicht einmal ignoriert")

und zugleich fordern Sie [kostspielige]

"Gegenmassnahmen gegen Klimawandel, Ressourcenverschwendung und Degeneration unserer Umwelt".

Das geht wohl kaum alles zusammen.
(Ändert aber nichts an meiner Wertschätzung Ihrer Blog-Einträge insgesamt).

Alexander Schatten hat gesagt…

Ich weiß nicht. Vielleicht ist Ihre Kritik berechtigt.

Andererseits ist es doch so: Wenn Sie mit dem Auto auf den Abgrund zufahren und eine Notbremsung sie gerade noch retten kann: macht dann das Argument, dass die Notbremsung aber die Reifen beschädigen würde und somit kostspielig wäre Sinn?

Ich denke, die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass alle Massnahmen die jetzt getroffen werden nichts am Problem ändern werden und wir tatsächlich in wenigen Jahren vor gesellschaftlich-existenzbedrohenden Krisen stehen werden. Die heutige "Krise" wird dann wie ein Herbstwind wirken.

Die Dinge sind, glaube ich, vernetzt: Armut, Zerstörung der natürlichen Ressourcen, Klimawandel haben ähnliche Ursachen wie Überbevölkerung, sinnentlehrte Wachstumsideologien und Wirtschaftstheorien/"wissenschaften" die diesen Namen nicht verdienen.

Ich glaube, dass Ihr Argument im Kontext der aktuellen (aber aus meiner Sicht gescheiterten) "Ideologie" richtig ist, nicht aber wenn man dem Problem auf den Grund geht.

Das ist jedenfalls mein Eindruck, vielleicht irre ich mich auch (das kann man hoffen).

Cangrande hat gesagt…

"Ich denke, die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass alle Massnahmen die jetzt getroffen werden nichts am Problem ändern werden und wir tatsächlich in wenigen Jahren vor gesellschaftlich-existenzbedrohenden Krisen stehen werden. Die heutige "Krise" wird dann wie ein Herbstwind wirken."

Dass denke ich auch; nur bezweifle ich, dass die Menschheit eine realistische Alternative hatte.
Sicher: wer arm ist, verwüstet die Umwelt, sichtbar. Allerdings wird er zwangsläufig weniger Ressourcen verbrauchen.

Wer reich ist, kann sich Filteranlagen usw. leisten. Aber dazu benötigt er erschöpfliche Ressourcen.

So oder so, denke ich, stehen wir vor Problemen; allenfalls könnten wir das Eintreten solcher Situationen - theoretisch - etwas hinauszögern, wenn wir "bewusster", "planvoller" agieren würden. Die Kehrseite wäre freilich, dass eine Planwirtschaft, Zentralverwaltungswirtschaft, Verteilungs- oder Zuteilungs-Ökonomie oder wie immer man benennen will, was man dann installieren müsste, erfahrungsgemäß auch die Kreativität und Innovation abwürgt.


Was innere Widersprüche angeht: gerade jetzt las ich den Aufsatz "Inflationäre Deflation oder die Dominanz der globalen Finanzmärkte" von Elmar Altvater.
(http://www.polwiss.fu-berlin.de/people/altvater/Aktuelles/ProklafinanzRepress.pdf)

Altvater klagt an:
"Hohe Realzinsen als Folge restriktiver Geld- und Fiskalpolitik und sinkender Preise tragen dazu bei, dass Akkumulation und Wachstum finanziell unterdrückt werden."
Und sagt zugleich:
"Das reale Wachstum lässt sich nachhaltig – von kurzfristigen konjunkturellen Boomphasen abgesehen - nicht steigern, weder in Industrie- noch in Entwicklungsländern. Dagegen stehen nicht nur ökonomische, sondern auch Naturgesetze."

Altvater würde vielleicht eine hübsche Formel finden im Stil von "qualitatives Wachstum", "nachhaltiges Wachstum", "Wachstum für die Menschen" "demokratisches Wachstum" usw.
Aber die Realität lässt sich nicht mit Formeln wegzaubern. Der Natur ist es herzlich gleichgültig, ob wenige Reiche das Öl für Weltraumreisen verjuxen (vgl. meinen Blott "Join the innovative race: 4 minutes to dump out your fridge into space!" - http://beltwild.blogspot.com/2008/03/join-innovative-race-4-minutes-to-dump.html), der viele Chinesen sich erstmalig Automobile kaufen.

Meine Devise jedenfalls lautet:
"Nur die totale Entfesselung des Kapitalismus rettet unsere Umwelt!" (http://www.beltwild.de/drusenreich_vier.htm#Entfesselung_Kapitalismus).
Ob ich das ernst meine? Nun ja, ich versuche, eine tiefere Funktion hinter den offenkundigen Tendenzen zu entdecken.
Und eine mögliche gesellschaftliche/biologische Funktion der aktuellen wirtschaftlichen Entwicklung muss nicht unbedingt im Einklang stehen mit dem, was wir gern hätten.

Alexander Schatten hat gesagt…

Ich denke, ich verstehe Ihr Argumet; da ist etwas dran. Ich habe vor einiger Zeit (2008) einen Artikel in diesem Blog geschrieben, der sich ziemlich genau mit diesem Dilemma beschäftigt:

http://sichten.blogspot.com/2008/07/das-beschleunigungs-paradoxon.html

Ich glaube es läuft darauf hinaus, dass wir lernen müssen in welchen Bereichen wir unbedingt (weiter) beschleunigen und wachsen müssen und in welchen dies absolut tabu ist.

Ausserdem ist es letztlich oft auch wirklich eine Verteilungsfrage: Ich schaue mir gerade ein Gespräch mit Josef Stiglitz an, der ähnlich wie Nassim Taleb kritisiert, dass das "Bailout money" vor allem an die Großinstitute geht die massiv versagt haben. Die Banken oder kleineren Finanz-Institute die erfolgreich waren sind leer ausgegangen und stecken jetzt teilweise in großen Schwierigkeiten bzw. gehen in Konkurs. Das kann nicht der richtige Weg sein.

"To big to fail" als Risiko wurde erkannt, aber was ist geschehen: wir haben heute ein "even bigger to fail" daraus gemacht.

Zum Abschluss...

Es freut mich, dass Sie sich die Zeit genommen haben, mein Blog zu lesen. Natürlich sind viele Dinge, die ich hier diskutiere aus einem subjektiven Blickwinkel geschrieben. Vielleicht teilen Sie einige Ansichten auch nicht: Es würde mich jedenfalls freuen, Kommentare zu lesen...

Noch ein Zitat zum Schluß:

"Ich verhielt mich so, als wartete ein Heer von Zwergen nur darauf, meine Einsicht in das Tagesproblem, zur Urteilsfindung von Gesellschaft und Politik zu übersetzen. Und nun stellt sich heraus: Dieses Heer gibt es nicht.

Ganz im Gegenteil erweist sich das kulturelle Getriebe als selbstimmunisierend gegen Kritik und Widerlegung. Es ist dem Lernen feind und wehrt sich in kollektiver Geschlossenheit gegen Umdeutung und Innovation.", Rupert Riedl, Evolution und Erkenntnis, Piper (1985)

:-)